Die Verteidigung der Community of Squatted Prosfygika aus internationalistischer Perspektive

In den frühen Morgenstunden vom 22/11/2022 drangen unterschiedliche Polizeieinheiten in die Nachbarschaft der Community of Squatted Prosfygika ein. Sie brachen durch die äußere Tür eines Gebäudes ein und zerstörten sie dabei. Im Anschluss daran gingen sie ins zweite Geschoss und entführten zwei Genoss:innen. Einer von ihnen, Kostas Dimalexis, wurde wegen ausgedachten Anklagen über ein Jahr im Gefängnis festgehalten. Zur gleichen Zeit umstellten Repressionskräfte die gesamte Nachbarschaft und griffen sie an bei dem Versuch sie staatlich zu besetzen. Genoss:innen vor Ort zogen auf die Dächer um die Nachbarschaft gegen diesen Angriff zu verteidigen. 79 Mitglieder und solidarische Personen der Gemeinschaft wurden für die Verteidigung festgenommen, unter ihnen eine schwangere Frau und 4 Minderjährige. Jetzt, 2 Jahre später, startete am 24. Oktober der Prozess gegen diese 79. Er dauert immer noch an. Die Zeugen der Staatsmacht blamierten sich vor Gericht durch widersprüchliche Aussagen, während die Zeug*innen unserer Seite direkte und überzeugende Antworten auf die Fragen des Gerichts geben konnten. Und obwohl die Chancen für einen Sieg vor Gericht gegeben sind, auch weil Kostas Dimalexis bereits freigesprochen wurde, was die Legitimierung der Invasion durch den Staat schon obsolet macht, besteht weiterhin die Möglichkeit, dass die Richter die Fakten umdrehen und sich die Realität gegen uns zurecht legen wie sie sie brauchen. Der nächste Gerichtstermin ist am 01. November, also heute. Als internationalistisches Kollektiv, das Teil der Community of Squatted Prosfygika ist, wollen wir die Wichtigkeit und Notwendigkeit zur Verteidigung dieser betonen. Die Verteidung die wir meinen beschränkt sich nicht ausschließlich auf das Gericht und die Repression, sondern besonders auf die Notwendigkeit des internationalistischen Kampfes gegen das unterdrückerische System auf allen Ebenen.

Wer sind wir?

Wir, das Borderless-Kollektiv sind eine internationalistisches Kollektiv, das sich gegen Grenzen, für das Recht auf Bewegungsfreiheit und ein freies Leben für alle organisiert. Wir sind als Kollektiv basiert in Berlin, haben aber eben auch in der Community of Squatted Prosfygika eine Präsenz. Als Teil der Community haben wir viel über die Organisierung und den Kampf auf kollektive Arten und Weisen, gelernt. Alles mit dem Ziel eine langfristigen Perspektive zur Organisierung gegen Grenzregimes und für das freie Leben für alle zu entwickeln. Wir schreiben diesen Text ebenfalls aus der Notwendigkeit heraus, verschiedene Verständnisse, zu denen wir in der Community gekommen sind, zu teilen und sie in den Kontext von Organisierung in Deutschland zu bringen. Dazu gehören für uns das holistische (ganzheitliche) Verständnis von Selbstverteidigung, das Verständnis vom Internationalismus als Kernstück des Kampfes und die Wichtigkeit der Überwindung liberaler Mentalitäten, um ehrliche Beziehungen zu uns, unseren Genoss*innen und der Welt um uns herum aufzubauen. 

Die Community of Squatted Prosfygika als Gegenvorschlag zur kapitalistischen Moderne

Die Community of Squatted Prosfygika ist eine politisch vereinte Nachbarschaft mit einer Vielzahl besetzter Wohnungen und kommunaler Strukturen, die für die Bedürfnisse von dutzenden Menschen aufkommt. Die Gemeinschaft verteidigt ihren befreiten Boden zwischen zwei Hauptsäulen des griechischen Staates, dem Obersten Gerichtshof und der Hauptpolizeiwache von Attica (Attica General Police Directorate, GADA). Mit der kollektiven Kultur basierend auf Genoss*innenschaftlichkeit, kommunalem Konförderalismus und der Beteiligung an lokalen und internationalen Kämpfen macht die Community einen Vorschlag für eine Organisierung gegen und als Antwort auf Unterdrückung und setzt diese Vorschläge in die Praxis um. 

Diese Gegenentwürfe- und Vorschläge zur kapitalistischen Moderne werden auf der Grundlage von praktischen Lösungen für die Bedürfnisse der Bewohner der Gemeinschaft entworfen. Migrant*innen, Kinder, Ältere und alle anderen.

Das ist keine Theorie, die es in einem Buch gibt und die man vielleicht irgendwie versteht, wenn mensch es liest. Es ist ein konkreter, praktischer Ansatz, der es Menschen ermöglicht sich an der Erschaffung einer alternativen Welt zu beteiligen, unabhängig davon was ihre Fähigkeiten, ihr Wissen oder Hintergrund sind. Tag für Tag wird unter Beweis gestellt, was Selbstorganisierung bedeutet und was wir damit erreichen können. Als Konsequenz daraus, leben und kämpfen Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen zusammen. 

Es gibt wenige Orte an denen sich die Kämpfe von Locals und Migrant*innen so zu einem gemeinsamen Rhythmus synchroniseren, weil diese Orte aktiv versucht werden zu bekämpfen. Prosfygika existiert als einer der wenigen Orte, der dieser Repression trotzt und einen geteilten Rahmen schafft in dem eine Vielzahl von Kämpfen in eine gemeinsame Kultur des Widerstands münden. Während die Teile-und-Herrsche-Taktiken der kapitalistischen Moderne die Zersplitterung und Isolation der Menschen voneinander weiter vorantreiben, ist es nicht nur wichtig weitere solcher Räume zu erschaffen; Auch besteht radikaler Bedarf und eine Pflicht dazu die Bestehenden zu verteidigen.

Die Community zu verteidigen bedeutete einen Vorschlag für das Weitermachen zu finden und Antworten zu erlangen auf die Fragen, die sich im fortschreitenden politischen Kampf stellen.

Die Wichtigkeit von sozialer Selbstverteidigung im Kampf

Wenn wir über Selbstverteidigung reden meinen wir nicht ausschließlich physische Verteidigung. Was wir meinen ist die Verteidigung der kollektiven Werte, der Freiheit und der Kollektivität gegen die stetigen Attacken des Systems, die einerseits durch offensichtliche Repression und physische Attacken auf der Straße aber eben auch in uns selber durch die Internalisierung von eben diesem unterdrückerischem System passieren.

Gegen all diese unterschiedlichen Ebenen von Attacken müssen wir uns und die Gesellschaft verteidigen. In der Verteidigung von Prosfygika können wir sehen, dass Selbstverteidigung nicht nur über die oben erwähnte physische Gegenwehr auf den Dächern und Straßen stattfindet, sondern vor allem auch in einer Offenheit der generellen Gesellschaft gegenüber. Es darf keine Zurückweisung der Gesellschaft geben und es muss das Potential und die Notwendigkeit für Veränderung in ihr erkannt werden. Auch findet die Selbstverteidigung über die Verbindung mit der umliegenden Nachbarschaft statt, zum Beispiel über Nachbarschaftsinitiativen- und Netzwerke. Vergessen werden darf auch nicht ein Verständnis von Comradeship als eine Art und Weise, wie zwischenmenschliche Beziehungen aufgebaut werden und selbstorganisierte Bildung als essenzieller Bestandteil der Selbstverteidigung. Das sind nur ein paar Beispiele die zeigen, dass die Selbstverteidigung in der Community im Alltagsleben und im politischen Kampf selbst verankert sind. 

In politischen Bewegungen in Deutschland wird Selbstverteidigung häufig als ein äquivalent zu einem Rückzug in die Isolation gesehen. Beispiele dafür sind, dass wir mit niemandem mehr über irgendwas reden und uns in kleinen, unverbundenen und geschlossenen (Bezugs-) Gruppen organisieren, die sich als von der Gesellschaft separiert betrachten und dieser häufig auch feindlich gegenüberstehen. Was wir von der Community gelernt haben ist die Wichtigkeit von Selbstverteidigung durch Offenheit einander und der Gesellschaft gegenüber. 

Selbstverteidigung bedeutet eben nicht sich, sich in sich selbst (als Bewegung) zurück zu ziehen, sondern das Gegenteil: große Schritte nach vorne in die Richtung zu Umsetzung unserer politischen Ziele für eine befreite Gesellschaft zu machen. Zu der Umsetzing gehört der gemeinsame Kampf und die Stärkung unserer Beziehungen auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele. Wenn wir als politische Bewegungen in Deutschland angegriffen werden, müssen wir kollektiv die Arten und Weisen erkennen, auf denen wir vom System angegriffen werden und gleichermaßen Herangehensweisen erkennen, um uns dagegen gemeinsam selbstzuverteidigen.

Liberale Mentalitäten mit genoss*innenschaftlichen Beziehungen überwinden

Als Menschen die in der kapitalistischen Moderne groß werden, brauchen wir befreite Orte des Kampfes, die uns helfen, den Einfluss von Individualismus und Liberalismus der sich durch die Gesellschaft, unsere politischen Zirkel und unsere Beziehungen zueinander zieht, zu überwinden. Viele Orte mit dem Anspruch befreit zu sein oder auch Freiräume zu sein, neigen gerade eher zu nihilistischen Lifestyles und begreifen das Individuum als losgelöste Entität die separiert von den Menschen drum herum ist. Das erzeugt Zersplitterung und Loslösung voneinander.

Mit der zunehmenden Repression und Räumung von befreiten Orten, verbreitet sich mehr und mehr der Glaube daran, dass das aktuelle System alternativlos und unveränderbar ist. Eine pessimistische Paralyse entsteht, die die Entstehung revolutionärer Kultur untergräbt.

Mit dem Aufbau von Comradeship durch kollektive Verantwortung, kollektivem Programm, Kritik & Selbstkritik, Offenheit, bewusster Kommunikation und anderen Aspekten kollektiver Kultur in der Community of Squatted Prosfygika, wird die liberale Trennung von Kollektiv und Individuum herausgefordert.

Mit Kollektivität in jedem Aspekt unseres Lebens können wir eine Gegenkraft erzeugen, die die Entwicklung von Autonomie innerhalb des unterdrückenden Systems nährt, und dieses gleichzeitig enttarnt und abbaut.

Internationalismus als ein Kernstück des Kampfes

Mit den Kräften der kapitalistischen Moderne, die uns auf globalem Wege angreift, international kollaboriert und weltweit versucht, alle Anstrengungen in Richtung Selbstorganisierung und politischem Kampf im Keim zu ersticken, lässt sich nur umgehen, wenn wir uns auch international organisieren. Dabei müssen wir Internationalismus als einen wesentlichen Wert unseres Kampfes begreifen. In der Community of Squatted Prosfygika wird Selbstverteidigung, neben den oben genannten Punkten, auch als etwas verstanden, dass nur erfolgreich sein kann, wenn wir die Verbindung der globalen Kämpfe untereinander verstehen.

Als Internationalist*innen in Prosfygika sehen wir unsere Rolle in der Selbstverteidigung hauptsächlich im Handeln, dass aus dem Verständis einer interconnectedness (also in der Untereinanderverbundenheit) des Kampfes in Prosfygika, mit dem Kampf in unseren Standorten und mit Kämpfen auf der ganzen Welt erwächst. Daraus erwächst natürlicherweise eine Verantwortung zur Praxis.

Aus dieser Praxis heraus entwickeln wir Strukturen und Netzwerke die angreifen, verteigen und erschaffen können, von einem Ort zum anderen. Für einen gemeinsamen Kampf über Grenzen und Widersprüche hinweg. 

Sich mit der Community of Squatted Prosfygika im Bezug auf den Gerichtsprozess und darüber hinaus zu solidarisieren, ist einer von vielen Schritten hin zu einem verbundenen und vereinten internationalistischen Kampf.

VON BERLIN BIS ATHEN – SOLIDARIÄT IST DIE WAFFE DER MENSCHEN